Katzengleich
gleitest du
über den hohen Zaun.
Dahinter hausten Russen
dein Leben lang.
Bis dein Volk
sie verjagte.
Das geht,
wenn ein Volk es will.
Hinter dem Zaun
suchst Du ein Stück
von Dir.
Und die Seele
deines Volkes.
Die Revolution roch gut.
Ist 32 Jahre her.
Glaub‘ das kaum.
Dein Mann
hängt sich auf.
Der Pferdestall ist lichtdurchflutet.
Die Schnapsflasche zu seinen Füßen.
Leer.
Er sah dich
mit deinem Geliebten.
Hielt seine Liebe nicht aus.
Dein Geliebter
flieht zurück
zu Frau und Kind.
In den Westen.
Dein Mann ist tot.
Ist 31 Jahre her.
Glaub’ das kaum.
Dann stolpre
ich
in deine Geschichte.
Du versteckst mich
in deinem Auto
unter schweren
Wintermänteln.
Niemand darf mich sehen.
Dein Mann ist
als Gespenst unterwegs.
In den Köpfen der
Nachbarn.
Wir rumpeln übers bucklige Pflaster.
Der Atem der Häuser
stinkt nach
Braunkohle.
Du parkst mich
in einer verlassenen Datscha.
Bedienst dich meiner
und schenkst mir
deinen katzengleichen Körper.
Wir lieben uns.
Hungrig.
Doch die Last der Erwartungen
ist schwerer
als die Wintermäntel.
Unsere Liebe
zerbricht.
Glaub’ das kaum.
Ist 30 Jahre her.
Unsre Wege
entschlingen sich.
Ein Häuflein Erinnerung
bleibt.
Unvermittelt
ruft Dein Vater an.
Ob ich ein Buch
über dich schreiben will.
Das ist doch mein Job.
Er sagt
du bist tot.
Glaub’ das nicht.
Seit zwölf Jahren schon.
Scheiß Tod, was soll das?
Kletter’ einfach
über den Zaun,
Geliebte.
Wer ist schon der Tod?
Kletter‘
zurück zu mir.
Du hast ja noch sechs Leben.
28.6.23